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Was die Bilder sagen könnten

Ich stelle mir vor, was die Menschen, der Berg und die Kneipe auf Stefans Bildern sagen könnten.

Die Strahlende:

Ich begrüße den Tag, will springen und tanzen, will die Welt umarmen – erwartungsvoll und lebensfroh.

Die Radfahrerin:

Auf meinem Rad eile ich dahin, über die Kreuzung – am Morgen zur Arbeit, am Abend nach Haus. Schnell noch etwas einkaufen, dann das Abendessen herrichten für die Familie. Ich bin in Eile.

Die Schuljungen:

Beim Ausflug in den Zengarten, den Ort der Meditation und Besinnung, zeigen wir, dass wir frech und übermütig sind – jung eben!

Die Köchin:

Umgeben von zuverlässigen Kollegen und hungrigen Gästen und beim Klang lauter Rufe bereite ich köstliche Speisen zu – ich liebe meine Arbeit.

Der Priester:

Dem Fremden schreibe ich einen Gruß in sein Pilgerbuch, mit dem Stempel für Musik und Kunst. Das Leben hat mich weise gemacht, bedächtig und ruhig.

Der Berg:

Zeitlos über allem erhaben und in mir ruhend schweige ich – der Berg.

Die Wartende:

Im Rauschen der Stadt stehe ich und warte auf ein Zeichen, das mir meinen Weg weisen wird – unschlüssig, abwartend.

Die Kneipe:

Bekannten und Fremden rufe ich zu: Kommt herein, nehmt Platz, esst und trinkt. Fühlt euch willkommen – zu Hause bei mir.

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„Bilder von Japan“ und das Ich des Künstlers

Rede von Dr. Mirjam Heintzeler zur Ausstellung
„Bilder von Japan“ von Stefan Hotop im Sommer 2017

Eine Rede zu Stefan Hotops Ausstellung „Bilder von Japan“ im Sommer 2017 bei frisch & veg in Ingolstadt – auf was habe ich mich da bloß eingelassen?! Die Sprache der Kunst ist nicht meine Sprache, ich bin nicht vom Fach. Eine nüchterne Einführung in die Ausstellung kann ich nicht bieten, dazu stehe ich – als Ehefrau und Reisebegleiterin – Stefan und seinen Bildern viel zu nahe.

Bei der Vorbereitung der Rede suche ich Rat bei unserem Freund und Nachbarn Fritz Dettenhofer. Fritz Dettenhofer ist Galerist, er führt in Freising die Galerie 13, und er hat Stefan bei den Vorbereitungen zur Ausstellung unterstützt und geholfen.

Fritz gibt mir für meine Vorbereitung einen Satz mit auf den Weg, zitiert nach dem Künstler Günter Fruhtrunk:

Das Ich muss ins Bild!

Dieser Satz leitet mich, ich nehme ihn auch für mich, für die Einführung zur Ausstellung, in Anspruch:

Das Ich muss (und darf) in die Rede!
Mein Ich darf in die Rede!

Und so entscheide ich:

Ich werde in der Rede zu Ausstellungseröffnung meinen Blick auf die Bilder geben und erzählen, wie sie zu den Bildern wurden, die in der Ausstellung zu sehen sind.

Blick zurück

Ich kenne ein Foto von Stefan, er ist darauf noch keine 20 Jahre alt. Das Foto ist ein Selbstbildnis: Stefan hält seine „Mamiya“, eine Mittelformat-Kamera, in der Hand und fotografiert sich selbst mithilfe eines Spiegels. Den Abzug des Fotos hat er danach im eigenen Labor im Badezimmer erstellt.

Und durch Stefan habe ich das Bild des berühmten Zengartens in Kyoto kennengelernt. Als Jugendlicher sah Stefan in einem Buch ein Foto des Zengartens Ryoan-ji und wusste: „Da will ich hin, das will ich selbst sehen und fotografieren.“

Ja: Fotografieren ist eine von Stefans Leidenschaften – damals, wie heute. Fotografieren, das bedeutet für Stefan:

  • sich Zeit zu nehmen für das Suchen von Motiven,
  • eine eigene, gute Kamera in der Hand zu halten,
  • und die Möglichkeiten der Fotografie und der dazugehörigen Technik kennenzulernen, auszuprobieren und auszureizen.

Damit haben wir bereits die Zutaten für Stefans Bilder beisammen:

  • das Interesse an Japan – am fremden Land und seiner Kultur,
  • das Schauen, Betrachten, Sich-Zeit-nehmen,
  • das Interesse an Kunst, speziell an der Fotografie und ihrer Technik,
  • und den großen Wunsch, dem näherzukommen.

Als ich Stefan kennenlernte, hatte er das Wissen über Japan, die japanische Philosophie und über die Menschen in Japan vertieft, dazu das Wissen über die japanische Sprache und Geschichte, über Texte und Filme – und auch das Interesse an der japanischen Küche. Genau: Mit dem japanischen Essen hat Stefan mich damals für sich gewonnen – und ich ließ mich gerne von ihm locken, allen Vorbehalten meiner Erziehung zum Trotz. Vor allem der gemeinsame gesehene Film „Tampopo“, „Pusteblume“, von Jūzō Itami mit der Botschaft „Essen und Sex sind im Grunde dasselbe“ hat es mir leicht gemacht, Stefans Interesse an Japan zu teilen.

Mit unserem Sohn – einige Jahre später – aßen und kochten wir japanisch, lasen Mangas und schauten Animes aus den Ghibli Studios an. Als besondere Zutat kam noch die Musik dazu: Durch die Anime-Filme entdeckten wir den Joe Hisaishi, der zu vielen Animes die Musik komponiert hatte. Seine Musik wurde fester Bestandteil unserer Liebe zu Japan, seine Musik klang mit bei unserer Reise und bei den Vorbereitungen zur heutigen Ausstellung.

Damit hatten wir alles beisammen, um uns auf die Reise zu machen. Die Zeit und das Geld für die Reise mussten wir zuvor noch erarbeiten, auch das haben wir gemeinsam geschafft.

Und so waren wir im Frühjahr 2017 vier Wochen in Japan: in Osaka, Kyoto, Kobe und Hiroshima, auf den Inseln Shikoku und Kyushu, und natürlich in Tokyo.

Bilder für die Ausstellung

Bei der Rückkehr aus Japan hatten wir viele Mitbringsel im Gepäck. Nachdem die Mitbringsel verteilt und die mitgebrachten Süßigkeiten gegessen waren, blieben uns die „Bilder von Japan“. Zuerst waren es einfach nur Fotos, die Stefan unterwegs gemacht hatte. Die mitgenommene Kamera, seine Sony, war meist im Hotelzimmer geblieben, während das IPhone bei den Ausflügen und Fahrten immer zur Hand war, um damit Fotos zu machen.

Im Gespräch mit Sabine Redl-Thorbeck von frisch & veg entstand die Idee und die Zusage zur Foto-Ausstellung in Ingolstadt. Stefan wählte dafür Fotos aus, Fotos von Gebäuden und Nahansicht von besonderen Gegenständen. Gemeinsam schauten wir die Fotos an – und stellten fest:

Da stimmt etwas nicht: Diese Fotos sind beliebig, sie sehen aus wie aus einem Reiseprospekt. Es gibt sie millionenfach, alle ähneln einander, mit den immer gleichen Motiven und gleichen Perspektiven, ….

Was fehlt, ist unser Blick: Bilder, die unseren Zugang zu Japan widerspiegeln!

Und wir überlegten:

Was genau ist das eigentlich: „unser Zugang zu Japan“?

Im Gespräch kamen wir zurück auf die Beweggründe für die Reise: die japanische Kunst und Kultur mit dem Maler Hokusai und den Mangas: Wir kennen Hokusais Holzschnitte mit den Ansichten des Fuji, darunter das berühmte Bild des klein gezeichneten Fuji im Zentrum der großen Woge. Und wir wussten: Von Hokusai stammten ursprünglich die Mangas: Bilder von Szenen aus dem Alltagsleben in Japan.

Diese Überlegungen veranlassten Stefan zu experimentieren, seine Fotos zu bearbeiten und zu verfremden:

Das verfremdete Bild soll Stefans Blick auf das Fremde in Japan darstellen und dabei zugleich das Vertraute aus Hokusais Holzschnitten und Mangas aufgreifen.

Bei seinen Versuchen fand Stefan schließlich einen Weg, wie er die ursprünglichen Fotos am PC veränderte, indem er das fotografierte Bild mit einem Holzschnittmuster überzog. Mit dieser neuen Art der Darstellung musste Stefan andere Motive auswählen: Bilder mit Personen, die dem Bild Tiefe geben. So wurde die ursprüngliche Auswahl von Fotos verworfen, stattdessen wurden Fotos mit anderen Motiven ausgewählt, verfremdet, gedruckt, gerahmt und aufgehängt.

„Bilder von Japan“ und das Ich des Künstlers

In Japan sahen wir vieles, was uns gleichzeitig fremd und vertraut war: fremd, weil es nicht Teil unseres Lebens hier in Deutschland ist, und vertraut, weil wir es aus den Hokusais Bildern und aus den Mangas und Animes bereits kannten.

Ich wünsche viel Spaß beim Entdecken von Stefans Ich in seinen Bildern von Japan: in den Bildern, die das Japan zeigen, wie wir es auf der Reise im Frühjahr 2017 erlebt haben, vertraut und fremd, fremd und vertraut.